delb, vielen Dank für die Willkommensgrüße. Na ja, man kann schon sehr leicht abhängig werden, das muss ich schon zugeben.
Also ich kenn beides, Deutschland und die USA und ich muss sagen, dass die Situation in Deutschland - global betrachtet, nicht individuell gesehen - doch ziemlich anders ist als in den USA. Die Wärme und Herzlichkeit, die Du ansprichst, das stimmt, die ist Amerikanern zu eigen, zumal wir hier ja auch noch in einem Forum von Gleichgesinnten sind. Aber der ganz große Unterschied zwischen Deutschland und den USA ist die religiöse Rechte und ihr Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung. Natürlich kann man in NYC, LA oder San Francisco gut leben, wo - laut den religiösen Rechten der 'gay lifestyle' gelebt wird (= Drogen, Promiskuität, circuit parties etc.), aber auf dem Land ist das nicht so einfach. Bei uns sicher auch nicht im Gegensatz zur Stadt, aber das allgemeine öffentliche Klima ist in den USA wesentlich repressiver als hier. Mit entsprechenden Folgen, wie man im Fall von Matthew Shepard gesehen hat. Kommt in den USA ein Politiker auch nur in den Verdacht, jemals mit einem Mann was gehabt zu haben, na ja, von Schwulsein wollen wir mal noch nicht reden, muss er zurücktreten. Bei uns kann man damit Regierender Bürgermeister von Berlin oder Hamburg werden oder Parteivorsitzender. So etwas wäre in den USA für die breite Öffentlichkeit nicht so einfach unvorstellbar.
Wie gesagt, ich spreche hier von dem allgemeinen gesellschaftlichen Klima. Konkret vor Ort kann man Glück haben und auf verständnisvolle Menschen stoßen oder aber auch Pech, wie hier. Aber allein die Tatsache, dass in verschiedenen Bundesstaaten per Volksabstimmungen Eheverbote für Schwule/Lesben in die Staatsverfassungen aufgenommen wurden, weil man Angst hat, dass Gerichte sonst urteilen könnten, dass die Nichtzugänglichkeit der Ehe für Schwule/Lesben rechtswidrig ist, zeigt, welches Klima vielfach vorherrscht. Wenn wir ehrlich sind, war diese Mobiliserung der Konservativen auch ein Grund für die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten. Viele haben bei der letzten Wahl die Republikaner im vorbeigehen gewählt, weil sie am gleichen Tag für das Eheverbot von Schwulen/Lesben in ihrem Bundesstaat abstimmen konnten. Für nicht wenige, war das ein Motivationsfaktor und in einem Land, in dem man sich zur Ausübung des Wahlrechts erst aktiv um eine Registrierung kümmern muss, kann eine solche Motivation der entscheidende Faktor sein, ob man zu Hause bleibt oder seine Stimme abgibt.
Ein Teil meiner Familie lebt in Wyoming und das ist wirklich sehr speziell. Meine eigene Tante spricht z.B. nicht mehr mit mir, seitdem ich ihr geschrieben habe, dass BBM meiner Meinung nach einer der besten Filme ist, die ich je gesehen habe. Seitdem herrscht bisher Funkstille. Sie hat mir nur mal gesagt, dass "real cowboys are not interested in that stuff".
Ich glaube, im Zusammenhang mit den USA muss man verstehen, dass es sowas wie ein kulturelles Leitbild gibt, das da lautet: (männlich, heute etwas eingeschränkter), weiß, protestantisch (oder zumindest sehr religiös) und heterosexuell. Entlang dieser Linien haben sich auch immer wieder die großen Konflikte in der amerikanischen Gesellschaft entzündet (women's lib, Black movement, gay rights).
Dass in Deutschland relativ wenig über den Film diskutiert wird, überrascht mich nicht. Ich bin sogar überrascht, dass er so gut besucht ist. In den USA steht die Frage der Rechte von Schwulen/Lesben seit einiger Zeit auf der Tagesordnung - ohne Lösung. Es ist klar, dass mit dem Film ein bestimmter Zeitgeist getroffen wird - und das ist absolut gut so. Dieser Film bildet einen Gegenpol zu den Zerrbildern, die viele Menschen von Schwulen/Lesben haben oder die über sie verbreitet werden und ist deshalb so immens wichtig.
In Deutschland scheint vieles erreicht, die Entpolitisierung des Themas Homosexualität ist doch ziemlich weit fortgeschritten. Das heißt noch nicht, dass man persönlich frei von Problemen ist. Aber zumindest was die öffentliche Meinung anbelangt, so ist die Frage wohl entschieden, ob Schwule/Lesben ein Teil der Gesellschaft sind, denen man Rechte zugestehen muss. Dieser Kampf ist in den USA gerade erst voll entbrannt und wird erbittert geführt. Wenn in Deutschland die letzten Scharmützel ausgefochten sind, d.h. - und jetzt werde ich mal juristisch - das Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz endlich durch ist, bleibt in rechtlicher Hinsicht an Regelungserfordernis nicht mehr so viel übrig, mit Ausnahme der Volladoption. In Deutschland wird in der breiten Öffentlichkeit nicht mehr akut darüber diskutiert, ob denn gleichgeschlechtliche Paare überhaupt so etwas wie eine längerandauernde Beziehung mit Liebe und Respekt haben können. So weit sind wir hier schon mal. In den USA können die Rechten noch frei Dinge sagen, die würde hier, na ja vielleicht abgesehen von Bayern, niemand sagen, weil sie offensichtlich absurd sind.
Nur zum Schluss: Das war jetzt hier keine billige USA-Kritik, wie ginge das auch mit meiner ganzen Familie dort? Ich liebe das Land und die Menschen, aber was zumindest diese Frage angeht, gibt es dort noch meiner Meinung nach mehr Probleme als hier. Dass es in anderen europäischen Ländern noch ganz anders aussehen kann, zeigt zum Beispiel Polen oder auch, leider, Österreich.
Aber es wäre durchaus interessant, das mal mit fritzkep und den anderen zu diskutieren.
@ BrokebackBerlin: Ich glaube seit meiner Studienzeit war ich nicht mehr so beeindruckt von einer solch tiefgreifenden Analyse. Im Kino hatte ich mich gefragt, was denn der weiße Wagen in der Szene sollte, den Raben hab ich noch nicht mal wahrgenommen
) Aber jetzt macht das Ganze Sinn. Spooky.
@ fritzkep: Ich wurde in Innsbruck geboren und ja, dieses Studienprogramm mit Notre Dame gibt es bis heute!